Bild Johannes JuditEinige Worte zum Abschied und Dank nach neun Jahren Budapest 

Als wir im Frühherbst 2008 auf die Stellenanzeige der Budapester Gemeinde aufmerksam wurden, stand an jenem Tag im Losungsbuch der Herrnhuter Brüdergemeine ein Wort aus Exodus 14,14: „Der Herr wird für euch streiten, und ihr werdet stille sein.“ Wir haben diesen Satz damals als ein persönliches Wort für unsere Situation verstanden. Es machte Mut, den Schritt in eine völlig unbekannte neue Welt zu wagen, so dass wir uns auf die Bewerbung und die Gemeinde in Budapest einlassen konnten. Mir war damals wichtig, die Gemeinde vorher kennenzulernen, und so flog ich an einem freien Sonntag inkognito nach Budapest; nur Wellmers wussten Bescheid. Die erweckliche Predigt und die Prägung der Gemeinde sagten mir zu, und so bewarb ich mich auf die Stelle. Das Auswahlverfahren in Hannover war etwas aufregend, da meine Frau kurz vor der Entbindung stand. Der Frauenarzt, der schon unsere ersten beiden Kinder zur Welt gebracht hatte, war 1989 aus der DDR über Ungarn und die grüne Grenze nach Österreich geflohen und hatte gute Erinnerungen an Ungarn: „Da müssen Sie hin!“ So tat er uns den Gefallen und untersuchte meine Frau noch am Tag des Auswahlgespräches und gab grünes Licht für die Fahrt nach Hannover. Jahre später erzählte mir Oberkirchenrat Michael Hübner, dass ich beim Bewerbungsgespräch den Pullover auf links getragen hätte; mir war das in der Aufregung überhaupt nicht aufgefallen, aber es hat offensichtlich nicht geschadet, denn: „Der Herr wird für euch streiten…“

Die Anfangszeit war spannend. Eine Gemeinde, die ständig im Wechsel lebt, neue Menschen einzubinden, andere zu verabschieden. Ganz neu war für mich die Erteilung des Religionsunterrichtes an der Deutschen Schule. Der Dienst wäre nicht möglich gewesen, wenn nicht ein kleiner Stamm beständiger Gemeindeglieder uns getragen hätte. Ich denke etwa an Familie Friedrich, die Damen der Bibelstunde wie Frau Szemes und Frau Hejja, die Ehepaare Sopp und Török und einige andere. Es gab noch Frauen, deren Lebensgeschichten in die Kriegszeit reichten: So gehörte Eva Stiasny, die einstige Mitarbeiterin von Pfarrer Gábor Sztehlo auch zu unserer Gemeinde. Durch Besuche lernte ich Frau Dagmar Wanke-Szendrey kennen. Sie war früher eine bekannte Opernsängerin und lebte jetzt zurückgezogen in ihrer Wohnung. Ich denke auch an Hanna Erney, die noch vor dem Krieg geheiratet hatte und über 90-jährig ihren hundertjährigen Ehemann betreute.

Im Kirchengemeinderat habe ich in den neun Jahren mit insgesamt sieben (!) Vorsitzenden vertrauensvoll zusammengearbeitet: Pfarrer Albrecht Friedrich, Holger Wendlandt, Marcel Barf, Michael Domrös, Matthias Langrock, Wilhelm Stettner und Alice Müller. Die Sitzungen waren harmonisch, und wir haben auch gerne ab und zu gelacht. Bereichert wurde das Gemeindeleben immer wieder durch Praktikantinnen - es waren zumeist junge Damen - die frische Ideen und ihre je eigenen Gaben in den Gemeindealltag einbrachten. Die erste war Franziska Kneissl, eine bayerische Theologin, die an der Lutherischen Universität in Budapest studierte. Danach folgten Katharina Scherf, Isabel Hanselmann und Carmen Eva Foos. Am weitesten weg von ihrer Heimat war Valirina Nomenjanahary, die wir einfach „Vali“ nannten, und die aus Madagaskar stammte. Die weiteren Praktikanten waren Rebekka Rüger, Nathalie Jordan, Harald Baude („Harry“), Pepe Milkau, Cordula Kien, Jakob Kerner und Emma Kenedi. Die letzte in der langen Reihe war dann Ines Allmann, die mit ihrem Freund Daniel Haardt ein Jahr lang treu in der Gemeinde mitwirkte.

Durch den Religionsunterricht konnten wir den Kontakt zur Schule pflegen; zeitweise waren fünf oder sechs Lehrerfamilien bei uns Mitglied! Die Schule wurde für unsere Kinder eine Heimat; anfangs war zumindest die Grundschule noch so überschaubar, dass wir praktisch alle Familien mit Namen kannten; das hat sich durch die Erweiterung im Laufe der Jahre natürlich verändert. Gelegentlich haben wir auch mit dem Chor am Adventsbasar oder zum Sommerfest gesungen. Über die Schule gewannen wir die meisten unserer Konfirmanden, so dass wir jedes Jahr eine Gruppe zustande bekamen. Als wir mit dem Dienst in Kecskemét begannen, war die Gruppe so groß, dass wir sogar auf die Kapelle ausweichen mussten. In jenem Jahr 2013 haben wir 11 Konfirmanden in Budapest und weitere 11 Jugendliche in Kecskemét eingesegnet. Unter den Kecskeméter Konfirmanden waren seinerzeit auch die Kinder der Familie Knop, die maßgeblich zum Aufbau der Kecskeméter Gemeindegruppe beigetragen hat. Damals gelang es Katrin Artes, die jetzt Vikarin in Augsburg ist, die jungen Leute nach der Konfirmation zu einer kleine Jugendgruppe zu sammeln. Katrins Initiative verdanken wir auch die Unterstützung des Waisenhauses in Miskolc, ein Dienst, der jetzt von Ulrike Schilling und Attila Dimák weitergeführt wird. In diesem Zusammenhang ist auch Rebekka Friedrich zu erwähnen, die viele Jahre treu die Päckchen für „ihre“ Behinderten in Sarepta im Namen der Gemeinde weitergegeben hat.

Viele Kinder sind durch die Gemeinde gegangen. Manche haben mit großer Hingabe die Kollekte gesammelt. Ich denke etwa an Lukas Wendlandt, Edgar Kenedi, oder Jurek Langrock. Jetzt kümmern sich darum die Stettner-Kinder und die Friedrich-Enkel.

Einige unserer Gemeindeglieder halten der Budapester Gemeinde auch aus dem Ausland die Treue und kehren gelegentlich zurück. Sehr dankbar bin ich für den treuen Dienst unserer Organisten Gábor und Hajni Kolba. Gerne erinnere ich mich an die ökumenische Zusammenarbeit mit der katholischen und der reformierten Gemeinde sowie an das geschwisterliche Miteinander mit der Burggemeinde und den Pfarrern in Kecskemét.

Manches ist unfertig geblieben; das ist in der Auslandssituation vielleicht noch stärker spürbar als in einer „normalen“ Gemeinde. Wo ich etwas schuldig geblieben bin oder Menschen verletzt habe, bitte ich herzlich um Verzeihung!

Unser Weg führt nun ab Sommer nach Österreich in die Kirchengemeinde Peggau bei Graz. Das Wort, das uns durchgetragen hat, geben wir nun an Euch in Budapest weiter: „Der Herr wird für euch streiten, und ihr werdet stille sein.“

 Euer Johannes Erlbruch