Gedanken zum 20. Jubiläum am 1. Advent 2013
Dass die Deutschsprachige Gemeinde Budapest im Jahre 1993 ausgerechnet am 1. Advent gegründet wurde, ist ein merkwürdiger Zufall. Bis zum heutigen Tag ist die Gemeinde eine „Adventsgemeinde“ geblieben. Sie lebt von der Ankunft, sie lebt davon, dass immer wieder Menschen neu hinzustoßen, mitwirken und die Gemeinde mittragen. Die Jahreslosung für 2013 drückt das Wesen der Auslandsgemeinde sehr genau aus: „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ (Hebräer 13,14). Dieses Wort gilt für die meisten der Gemeindeglieder in einem sehr konkreten Sinn: Wir sind nur für kurze Zeit hier in Budapest. Für einige Monate oder Jahre finden wir in der Kapelle und in der Gemeinde ein geistliches Zuhause; trotz der kurzen Dauer wachsen Wurzeln und Bindungen; aber doch ist klar: Wir bilden eine Weggemeinschaft. Unsere Gemeinde bildet ab, was für Christen der Normalfall ist: Wir sind unterwegs zu einem größeren Ziel – und gehen der Begegnung mit dem kommenden Herrn entgegen.
Das bleibende Element der Gemeindearbeit ist die Veränderung. Es gibt Gruppen, die es für das Empfinden der Gemeinde schon immer gegeben hat. An erster Stelle ist hier die deutschsprachige Bibelstunde zu nennen, aus der dann später die Gottesdienste erwuchsen. Jeden Sonntag trifft sich die Gemeinde zum Gottesdienst mit Abendmahl und anschließendem Kirchenkaffee. Der Chor übt fleißig seine Lieder, das Orchester ist winzig, aber spielt gut – und nach wie vor ist die Krabbelgruppe unsere lebendigste Gemeindegruppe. Wie in der Gemeindearbeit üblich, erleben wir in den Gruppen ein auf und ab: die Studenten im Kreuz&Quer-Kreis oder die Teilnehmer des Bibelabends sind mal in stärkerer Zahl, mal auch in sehr kleiner Runde zusammen. Einmal monatlich treffen sich der Frauengesprächskreis und neuerdings eine Jugendgruppe für junge Menschen nach der Konfirmation. Letzteres ist eine Frucht der außergewöhnlich großen Konfirmandengruppe des letzten Jahres: Elf junge Leute haben zu Pfingsten 2013 in Budapest und erstmals ebenfalls elf Jugendliche in Kecskemét mit uns die Konfirmation gefeiert. Damit ist eine der deutlichsten Veränderungen der letzten Jahre genannt: Seit etwa einem Jahr gehört auch die Betreuung von deutschsprachigen Christen in Kecskmét zu unseren Aufgaben. Einmal im Monat findet in der dortigen evangelischen Kirche ein deutschsprachiger Gottesdienst statt, maßgeblich angeregt durch eine dort ansässige Familie, die einmal „zufällig“ bei uns im Gottesdienst in Budapest war. Dieser Besuch gab Anlass, den nächsten Gemeindeausflug nach Kecskemét zu unternehmen, ihn mit einer Andacht in der dortigen Kirche abzuschließen. Seitdem entsteht dort deutschsprachige Gemeindearbeit. Mehr braucht der lebendige Gott offenbar nicht, um etwas wachsen zu lassen.
Natürlich sieht die Deutschsprachige Evangelische Gemeinde auch die Linderung sozialer Nöte in einzelnen Fällen sowie Besuche bei deutschsprachigen Häftlingen als Aufgabe an – letzteres ist nicht zuletzt auch dem glücklichen Umstand zu verdanken, dass Pfarrer Andreas Wellmer in den Jahren nach seinem Weggang aus Budapest jeweils die Sommervertretung versehen hat. Wer sich für die aktuellen Zahlen aus dem Gemeindeleben interessiert, dem seien sie an dieser Stelle noch genannt: Am Tag der letzten Kirchengemeinderatswahl (17. November 2013) hatte die Gemeinde 230 eingeschriebene Mitglieder, darunter 58 Kinder, die noch nicht konfirmiert sind. 18 Gemeindeglieder wohnen in Kecskemét, dazu einige weitere Familien, die (noch) nicht Mitglied sind, aber die Gottesdienste besuchen. Im Jahr 2013 wurden 22 Mädchen und Jungen konfirmiert, vier Paare kirchlich getraut sowie vier Kinder und zwei Erwachsene in der Kapelle getauft. Die Auflage des Gemeindebriefes, der zweimonatlich erscheint, beträgt 350 Stück. Diese Zahlen sind jedoch nur „zufällig“, eine Momentaufnahme im Leben der Auslandsgemeinde, in der sich alles so schnell ändert, und morgen wieder Gemeindeglieder Budapest verlassen und übermorgen schon neue Menschen hinzugefügt werden.
Bleibt zum Schluss noch die Klärung der Frage, worin eigentlich der Zufall besteht, von dem anfangs die Rede war und der es wert ist, dass wir auf ihn merken. Zufall ist das, was uns von Gott her zufällt – als Aufgabe zur Gestaltung, als Ort der Bewährung. Zufall ist das, was der lebendige Gott uns vor die Füße fallen lässt; in diesem Sinne haben wir als Deutschsprachige Evangelische Gemeinde in Budapest nach wie vor unsere Aufgabe und unseren Ort. Im Vertrauen darauf, dass Jesus Christus, der gegenwärtige und kommende Herr der Gemeinde uns auch in Zukunft einiges Gutes zufallen lässt, gehen wir getrost weiter als Deutschsprachige Evangelische Gemeinde in Budapest.
Johannes Erlbruch