"Ich bin in beiden Ländern zu Hause"

Frau SzemesSie gehörte zu den „Säulen“ unserer Gemeinde, ist wieder nach Deutschland gegangen und verstarb am 21.September 2021 in Leipzig.

Bis Ende 2009 war sie im Kirchengemeinderat und kennt die Gemeinde seit der Anfangszeit. Bei Kaffee und Kuchen unterhielt sich Pfarrer Erlbruch mit Frau Szemes über ihr Leben...

Liebe Frau Szemes, die Frauen der Bibelstunde nennen Sie „Nóra“. Wie kommen Sie zu Ihrem ungarischen Namen?
Da mein Name für Ungarn schwer auszusprechen war, hat mich meine erste Kollegin so genannt. Dabei ist es geblieben. Als ich nach Ungarn kam, hatte ich die Absicht, für zwei Jahre zu bleiben. Das war 1968. Ein Jahr vorher hatten wir geheiratet. Im Informationszentrum der DDR in Budapest wurde ich zu ungarischen Konditionen eingestellt, da ich mit einem Ungarn verheiratet war. Die Bedingungen damals waren schwierig; kaum jemand sprach deutsch. Ich habe mir sehr schnell angeeignet, ungarische Formulare auszufüllen.
Anfang der 80er Jahre wurde es leichter. 1989 habe ich im Goethe-Institut angefangen, zunächst mit 20 Stunden, später mit voller Stelle. Die Arbeit hat mir viel Freude gemacht. Ich war in der Sprachabteilung tätig. Viele Ungarn, vor allem Erwachsene, habe ich Deutsch unterrichtet.

Sie sind das Gemeindeglied, welches am nächsten zur Kirche wohnt.
Noch näher wohnte Frau Tax, die mittlerweile in Brasilien lebt. Wir wollten gerne im ersten Bezirk bleiben, auch wegen der Nähe zur Kirche. Bei einem Spaziergang wurde ich auf unsere heutige Wohnung aufmerksam. Durch Freunde war ich auf die deutsche Gemeinde aufmerksam gemacht worden. Die Gemeinde war klein; wenn wir Gottesdienst feierten, waren manchmal nur acht oder zehn Leute anwesend. Pfarrer Zsigmondy und Pfarrer Friedrich haben sich abgewechselt.

Wie ist es Ihnen gelungen, so lange den Kontakt zur Heimat zu halten?
Da ich ursprünglich nicht lange bleiben wollte, habe ich mir viele Freundschaften bewahrt. Ich bin etwa zweimal im Jahr in Deutschland. (Wie zum Beleg, klingelt an dieser Stelle des Gesprächs das Telefon. Eine Freundin aus Deutschland ist am Apparat, die gerade zu Besuch in Budapest ist.) Ich habe nie die ungarische Staatsangehörigkeit angenommen. Im Innern ist natürlich manchmal eine Zerrissenheit. Ich bin in beiden Ländern zuhause, aber mittlerweile kenne ich mich in Budapest besser aus als in Leipzig.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft unserer Gemeinde?
Dass sie möglichst noch wachsen möge. Schön wäre es, wenn mehr Mitglieder länger in Budapest blieben. Das wäre wichtig für die Festigung der Gemeinde. Zwei unserer alten Gemeindeglieder, Frau Erney und Frau Takács, sind leider kürzlich verstorben. 

Am Ende des Gespräches kommen wir noch einmal auf den Anfang zurück; Frau Szemes erinnert an die schwere Zeit nach dem Krieg in Deutschland; als Jugendliche musste sie in der Freizeit „Aufbauarbeit“ leisten: Hilfe auf dem Land oder bei der Ernte, aber das Fazit fällt positiv aus:
Es war eine schwere Zeit, aber ich möchte sie nicht missen, denn es war auch eine schöne Zeit, in der die Menschen sich meist näher standen als heute.

Seit Anfang 2019 lebt Nora Szemes in Leipzig. Bereits aus ihrer neuen alten Heimatstadt schrieb sie uns folgende Zeilen:
Je länger man in Ungarn gelebt hat, desto schwerer fällt dann das Abschiednehmen, denn in dieser Zeit sind viele Freundschaften und Bekanntschaften, auch zu den Menschen in unserem Gastgeberland entstanden. In einer ähnlichen Lage befinde ich mich jetzt, nachdem ich mich nach langen und gründlichen Überlegungen entschlossen habe, meinen letzten Lebensabschnitt wieder in Deutschland zu verbringen. Man freut sich einerseits auf das Wiedersehen mit Verwandten und Freunden, andererseits lässt man Freunde und Bekannte zurück, die in der langen Zeit in Budapest zu einem festen Bestandteil meines Lebens geworden sind. Mit einem Fuß stehe ich in Deutschland, mit dem anderen in Ungarn. Und so wird es sicher auch weiterhin bleiben. Ich hoffe, dass ich noch oft Gelegenheit zu einem Besuch in Ungarn und der Deutschsprachigen Evangelischen Gemeinde haben werde, denn ich fühle mich trotz der räumlichen Entfernung weiterhin mit allen verbunden.

Ihre Nora Szemes